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In Schulen über Krieg sprechen

Ein jüdisch-palästinensisches Duo bringt Israel und Palästina in die Klassenzimmer

Seit dem 7. Oktober sind Shai Hoffmann und Jouanna Hassoun in ganz Deutschland unterwegs. An Schulen zeigen sie die Komplexität des Nahostkonflikts auf und werben für Empathie. Ein Gespräch darüber, wie der Krieg im Klassenzimmer besprechbar wird und was sie sich vom deutschen Diskurs wünschen.

Ihr Bildungsprojekt ist bereits 2019 gestartet. Wie ist die Idee entstanden?

Shai Hoffmann: Ich hatte vorher schon einmal Videotagebücher in Israel gedreht, in denen es aber eher um Eindrücke aus dem Alltag ging. Anschließend habe ich ein Konzept für Bildungsmaterialien geschrieben, die jüdische, israelische, palästinensische und muslimische Perspektiven aufzeigen. Leider habe ich nirgendwo Fördermittel bekommen. Alle hatten Bedenken oder haben keine Notwendigkeit dafür gesehen. Das hat mich richtig sauer gemacht!

Schließlich bin ich auf Jouanna und ihren Verein „Transaidency“ zugegangen und gemeinsam haben wir die ersten Videos produziert, unter ganz prekären Verhältnissen, mit sehr wenig Geld und viel Selbstausbeutung. Die Materialien waren seit Ende 2021 auf unserer Webseite verfügbar und zuerst hat sich niemand dafür interessiert. Dann kam der 7. Oktober 2023. Seitdem wurde unser Bildungsmaterial tausendfach abgerufen und es erreichen uns wahnsinnig viele Anfragen – fast schon Hilferufe – von Schulen. Traurigerweise musste es offenbar erst vor Ort eskalieren, damit wir hier mit unseren Botschaften durchkommen. Auf den 7. Oktober 2023 und den Krieg im Gaza hätte ich lieber verzichtet.

Wie erleben Sie aktuell die Stimmung an den Schulen?

Jouanna Hassoun: Das Thema war schon immer emotional, aber nach dem 7. Oktober sind die Gefühle hochgekocht. Solange der Krieg anhält, wird sich das auch nicht ändern. Machen wir uns nichts vor: Die Situation in Gaza ist einfach unmenschlich. Ich finde selbst keine Worte mehr dafür. Über diese Bilder rückt das Massaker der Hamas, das ja der Auslöser für den jetzigen Krieg war, für die Jugendlichen in sehr weite Ferne. Nur bei ganz wenigen ist das noch präsent.

Und ständig wird verglichen: Welches Leid wiegt mehr? Dabei ist das Leid doch gleichzeitig da. Sowohl palästinensische als auch israelische Familien bangen und trauern. In unseren Gesprächen an Schulen machen wir beide Lebensrealitäten sichtbar, ohne der einen oder der anderen Seite ihr Leid abzusprechen. Das ist die größte Herausforderung, egal ob für Jugendliche oder für Erwachsene. Die wenigsten können diese Gleichzeitigkeit aushalten.

Wie geht es Ihnen persönlich dabei?

Hoffmann: Ich habe das Gefühl, dass ich seit dem 7. Oktober wie in einem Tunnel bin und einfach nur funktioniere. Ich möchte möglichst vielen Schulen helfen. Aber ich merke auch, wie emotional erschöpfend das ist. Nicht nur die Gespräche in den Klassen, sondern auch das, was ich in den sozialen Medien erlebe: Teilweise werden da Verschwörungstheorien verbreitet und es wird geleugnet, was am 7. Oktober passiert ist. Das ist einfach so ermüdend und tut sehr weh.

Hassoun: Ich merke, dass ich es emotional immer weniger aushalten kann. Für mich sind die Gespräche an den Schulen jedes Mal eine Retraumatisierung, da ich selbst Krieg erlebt habe. Weh tut es vor allem, wenn die Schüler*innen sehr plastisch erzählen, was sie gesehen haben. Wir bitten mittlerweile darum, auf solche Schilderungen zu verzichten, denn schließlich sitzen in den Klassen auch andere Kriegsgeflüchtete. Sogar erfahrene Trainer*innen haben mir gesagt: ‚Ich weiß nicht, wie ihr das überhaupt schafft – ich habe meine eigenen Gefühle kaum unter Kontrolle, da wüsste ich nicht, wie ich Schüler*innen gegenüberstehen und ihre Gefühle aushalten sollte.‘ Sie zollen uns wirklich ihren Respekt.

Was empfehlen Sie Lehrkräften, die Bedenken haben, das Thema im Unterricht aufzugreifen?

Hoffmann: Es ist wichtig, sich der eigenen Haltung zu diesem Krieg und zu den damit verbundenen Konflikten auch in unserer Gesellschaft bewusst zu sein. Dazu gehört, sich zu fragen, mit welcher Perspektive, mit welchen Bezügen ich eigentlich darüber spreche. Habe ich vielleicht eine NS-Familiengeschichte? Was macht das mit meiner Ansicht über Israel, über jüdisches Leben, über palästinensisches Leben? Diese Reflexionsübungen sind ganz wichtig. Und man sollte sich natürlich auch thematisch gut weiterbilden.

Kommt es denn vor allem auf Fakten an?

Hassoun: Fakten sind wichtig, aber damit allein kommen wir nicht weiter. Wir erklären den Schüler*innen nicht den kompletten historischen Konflikt – das ist in anderthalb Stunden gar nicht möglich. Stattdessen stellen wir die Frage: Mit welcher Brille und welchen Gefühlen blicke ich darauf? Wir schaffen einen Raum – wir nennen das „braver space“, also „mutiger Raum“ –, in dem erst einmal alles gesagt werden darf, was auf der Seele liegt. Anschließend greifen wir das auf, ohne einzelne Personen an den Pranger zu stellen. Das heißt aber nicht, dass wir keine Fakten nennen. Wenn Fake News geäußert werden oder menschenverachtende Aussagen fallen, dann zeigen wir Haltung. Wir ordnen ein, wir klären auf.

Welche Erfolgsmomente erleben Sie in Ihrer Arbeit?

Hoffmann: Vor Kurzem hat ein Junge gesagt: Als er gehört habe, dass wir beide an die Schule kommen, habe er erwartet, dass wir uns nur streiten würden. Und er sei dann positiv überrascht gewesen, dass wir ganz normal miteinander gesprochen haben. Wenn man das hört, dämmert einem, was die Jugendlichen in sozialen Medien und anderswo für ein Bild bekommen. Dort wird ihnen vermittelt, dass jüdische und palästinensische Menschen einander hassen. Uns beide gemeinsam zu sehen, war für ihn ein echtes Aha-Erlebnis.

Hassoun: Ich beobachte gerne auch die Körperhaltung. Manche Schüler*innen sitzen zunächst mit verschränkten Armen da nach dem Motto: „Was wollt ihr uns schon erzählen?“ Aber im Laufe des Gesprächs verändert sich das. Plötzlich ist da ein Lächeln, die Augen werden ganz groß, wir spüren die Neugier. Für mich sind das die schönsten Momente, wenn ich sehe: Da hat sich etwas aufgetan. Aus Erfahrung weiß ich, dass wir nicht innerhalb eines Tages oder einer Woche eine Veränderung bewirken. Aber diese Begegnungen verändern Menschen nachhaltig. Shai und ich denken manchmal: Aber wir sind doch einfach nur da! Aber scheinbar gibt das bereits vielen Menschen Hoffnung, weil es für sie nicht selbstverständlich ist.

Was unterscheidet den deutschen Diskurs von anderen Ländern?

Hassoun: Wir haben es hier mit vielen unterschiedlichen Identitäten zu tun. Die deutsche Mehrheitsgesellschaft steht aufgrund der Geschichte in der Verantwortung gegenüber jüdischen Menschen und gegenüber Israel. Das steht vermeintlich in Konkurrenz zur palästinensischen Identität, da viele Palästinenser*innen aufgrund des Holocausts und der daraus folgenden Staatsgründung Israels fliehen mussten oder vertrieben wurden. Beides zusammenzudenken, fällt vielen in Deutschland schwer.

Hoffmann: Hinzu kommt die Frage der Diskurshoheiten. Geschichtlich gewachsen gibt es in Deutschland zum Beispiel kein palästinensisches Pendant zum Zentralrat der Juden. Jüdische Menschen in Deutschland fühlen sich aufgrund des steigenden Antisemitismus bedroht. Gleichzeitig merken wir während dieser ganzen Rangelei um Diskurshoheiten, dass leider auch in die Schmutzkiste gegriffen und Antisemitismus mit Rassismus bekämpft wird. An manchen Tweets oder Reden im Bundestag merkt man: Da wurden rassistische Stereotype übernommen. Zum Beispiel wenn suggeriert wird, junge muslimische Männer seien generell antisemitisch. Solche Pauschalisierungen sind beängstigend.

Was braucht es für einen friedlicheren Diskurs in Deutschland?

Hassoun: Empathie! Ich würde mir eine differenzierte Debatte wünschen, die weniger ideologisch ist und in der es stattdessen gelingt, für beide Seiten Mitgefühl zu empfinden. Und es ist wichtig, den direkt Betroffenen mehr Raum zu geben.

Hoffmann: Ja, Zuhören und Besonnenheit sind wichtig – und nicht auf diese Empörungswellen aufspringen. Dieser Krieg ist kein Fußballspiel, wo man sich unbedingt auf eine Seite schlagen muss. Stattdessen ist es wichtig, Dinge zu hinterfragen und wachsam zu bleiben. Wir sollten uns hinter alle stellen, die auch hier bei uns wegen des aktuellen Krieges bedroht werden. 

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Gespräch führte Hannah Sanders.

 

 

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