Wahlprüfsteine: Für ein friedensfähiges und solidarisches Europa
Mehrere Friedensverbände und Organisationen rufen im Vorfeld der Wahlen zum Europäischen Parlament am 9. Juni dazu auf, Kandidatinnen und Kandidaten zu wählen, die sich für ein friedensfähiges und solidarisches Europa einsetzen. Dazu haben sie Wahlprüfsteine veröffentlicht.
„Die Europäische Union entstand als ein Friedensprojekt“, erinnert Jan Gildemeister, der Geschäftsführer der Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden (AGDF). Die EU habe in Weltkriegen verfeindete Länder zu friedlicher Kooperation motiviert und geholfen, nach Ende des Kalten Krieges auch die Ost-West-Spaltung Europas zu überwinden, so Gildemeister. Zu Recht erhebe sie daher den Anspruch, dass die Mitglieder sich demokratischen Normen, friedlicher Streitbeilegung und den Menschenrechten verpflichten müssten. „Wir wollen erreichen, dass sich die EU auch in ihren Außenbeziehungen zu einem Friedensprojekt entwickelt“, unterstützt dies Christoph Bongard vom forumZFD.
Wenn es um Europa gehe, stünden seit Februar 2022 vor allem der Krieg Russlands gegen die Ukraine sowie die Unterstützung der Ukraine durch die EU und ihre Mitgliedsstaaten im Fokus. „Wir wollen die Aufmerksamkeit mit unseren Wahlprüfsteinen auch auf Themen lenken, die im Schatten des Krieges kaum wahrgenommen werden, obwohl sie eine grundlegende Bedeutung für die weitere europäische und globale Entwicklung haben“, unterstreicht Antje Heider-Rottwilm, die Vorsitzende des europäischen friedenskirchlichen Netzwerkes von Church and Peace.
Zu diesen Herausforderungen gehören nach Ansicht der beteiligten Organisationen und Verbände die Gestaltung glaubwürdiger Klima- und Umweltpolitik und das Engagement für nachhaltiges Wirtschaften und fairen Handel, aber auch eine Außen- und Sicherheitspolitik, die einem neuen globalen Rüstungswettlauf entgegenwirkt und Sicherheit nicht nur militärisch definiert, sondern menschliche Sicherheit in den Blick nimmt.
„Sicherheitspolitik muss so gestaltet werden, dass sie nicht zur Abschottung führt“, fordert Gerold König, der Vorsitzende der Deutschen Sektion der internationalen Katholischen Friedensbewegung pax christi. Und Sicherheit in Europa dürfe nicht auf Kosten von Sicherheit und Menschenrechten an anderen Orten gehen, fügt er hinzu. Daher sei es wichtig, dass der Aufbau von Institutionen friedlicher Streitbeilegung und von Instrumenten ziviler Konfliktbearbeitung konsequent unterstützt werde, auf europäischer wie auch auf globaler Ebene. Nach Ansicht der Friedensverbände müssten hier staatliche und zivilgesellschaftliche Akteure zusammenwirken, da nur so die Kompetenzen und Erfahrungen zusammenkommen könnten.
Europäische Politik sei aber nur dann glaubwürdig, wenn sie die Beziehungen mit den Ländern des globalen Südens neu ausrichte und auf eine gerechtere Basis stelle, wenn sie die Ursachen von Gewaltkonflikten in den Blick nehme und die eigenen Beiträge zum Unfrieden kritisch beleuchte, mahnt Martina Fischer von der Plattform Zivile Konfliktbearbeitung an. Weiterhin kritisieren die Verbände: „Zahlreiche Waffen, die weltweit bei der Begehung schwerster Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen eingesetzt werden, stammen aus europäischer Produktion. Das muss sich ändern!“
Bei der Europawahl am 9. Juni hätten alle Bürgerinnen und Bürger das Recht und die Möglichkeit, die Zusammensetzung des Europäischen Parlaments und damit die Politik der EU zu beeinflussen. „Die Wahlprüfsteine sollen dazu anregen, die Kandidatinnen und Kandidaten, die auf den Listen der Parteien stehen, kritisch zu befragen“, unterstreicht Duška Borosac-Knabe, die Leiterin des Mennonitischen Friedenszentrums Berlin.
In den Wahlprüfsteinen geht es dabei konkret um mehrere Themen wie den Ausbau der Friedensförderung und der zivilen Friedensmissionen, eine menschenrechtsbasierte Asyl- und Migrationspolitik, eine gerechtere Gestaltung der Beziehungen mit den Ländern des globalen Südens, eine Begrenzung und Kontrolle von Rüstungsprojekten und Rüstungsexporten sowie eine Wiederbelebung der Rüstungskontrolle und der Abbau der Atomwaffen.
Die Wahlprüfsteine „Für ein friedensfähiges und solidarisches Europa“ finden sich im Internet unter anderem unter http://www.friedensdienste.de, http://www.paxchristi.de, http://www.forumZDF.de/eu-wahl-2024.
Zu den Herausgebern der Wahlprüfsteine gehören die AGDF, Church and Peace – Europäisches friedenskirchliches Netzwerk, das forum ZFD, Brot für die Welt, das Mennonitische Friedenszentrum Berlin, pax christi und die Plattform Zivile Konfliktbearbeitung.
AGDF sieht mit großer Sorge auf den Krieg in der Ukraine und auf seine Opfer
Zwei Jahre nach dem russischen Angriff auf die Ukraine sieht die Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden (AGDF) mit großer Sorge auf diesen Krieg und auf die weiter steigenden Opferzahlen. Gleichzeitig sieht der Friedensverband derzeit nur wenige Chancen für einen Waffenstillstand und einen längerfristigen Frieden. Gerade deshalb begrüßt der AGDF-Vorstand in einer zum zweiten Jahrestag des russischen Überfalls verabschiedeten Erklärung alle Initiativen für Verhandlungen über einen Waffenstillstand, für Schritte auf dem Weg zum Frieden und eine Friedenslösung.
Die Frontlinie habe sich seit Monaten kaum verändert, trotz der Bemühungen von ukrainischem wie russischem Militär um Durchbrüche, um die Gewinnung oder Rückgewinnung von Land, heißt es in der Erklärung. Russland habe seine Kriegsziele nicht erreicht, und die Ukraine, die von ihrem Recht auf Landesverteidigung Gebrauch mache, sei der vollständigen Wiederherstellung ihrer territorialen Integrität nur wenig nähergekommen. Es drohe ein langer „Abnutzungskrieg“, beklagt die AGDF. Und in vielen NATO-Staaten würden die Bereitschaft und teilweise auch die Möglichkeiten sinken, die Ukraine mit zusätzlichen Waffen und mehr Munition zu unterstützen.
„Ein Weg aus diesem brutalen, mörderischen Krieg erfordert letztlich die Bereitschaft beider Seiten für Verhandlungen über einen Waffenstillstand und einen längerfristigen Frieden. Die Chancen dafür sind derzeit schlecht“, bedauert der AGDF-Vorstand. Denn jede Regierung müsse zunächst auf das Erreichen ihrer Ziele verzichten, die Ukraine müsse die Besetzung eines Teils ihres Landes hinnehmen, Russland die weitere Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der Ukraine akzeptieren.
Auch wenn aktuell nicht absehbar sei, wie Russland an den Verhandlungstisch gebracht werden könne, solle nach Ansicht der AGDF die Verhandlungsbereitschaft durch Initiativen von internationalen Institutionen und Organisationen, aber auch anderen Staaten „massiv gefördert werden“. Denn Konzepte für Friedensverhandlungen würden vorliegen, an denen weitergearbeitet werden müsste, so der Friedensverband.
Die AGDF sieht sich an der Seite von zivilgesellschaftlichen Organisationen und Gruppen in der Ukraine, in Russland und Belarus, die für Demokratie, Menschenrechte und einen gerechten Frieden eintreten, heißt es in der Erklärung. Daneben trete der Friedensverband für das Recht auf Kriegsdienstverweigerung und den Schutz derjenigen ein, die sich dem Militärdienst entzogen hätten.
„Die AGDF sieht mit Sorge, dass die Aufmerksamkeit für den Krieg und seine Opfer auch in Deutschland zu schwinden scheint. Es ist der zweite Winter, in dem viele Zivilist*innen aufgrund der gezielten Zerstörungen der Infrastruktur ohne Strom, ohne Heizung, ohne Wasser ums Überleben ringen. Kriegsverbrechen sind an der Tagesordnung; es ist wichtig, über sie konkret zu informieren, gerade angesichts der dominierenden militärischen Perspektive“, betont der Friedensverband. Darum solle der zweite Jahrestag des russischen Einmarsches in die Ukraine Anlass sein, innezuhalten und die Menschen, die unter diesem Krieg entsetzlich leiden würden, in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit und der Unterstützung zu rücken: „Die Kriegskinder, die um ihre Kindheit gebracht werden, die vergewaltigten Frauen, die Gefolterten, die Verletzten, Verschleppten, Vertriebenen und Geflüchteten, die Verzweifelten und die, die nicht aufhören, für einen gerechten Frieden einzutreten“, so der AGDF-Vorstand in der Erklärung.