
Im Rahmen der Ausstellung „Man hat sich hierzulande daran gewöhnt - Antisemitismus in Deutschland heute“ war der Sozialwissenschaftler Konstantin B. Seidler, Mitglied der Liberalen Jüdischen Gemeinde Hannover, im Antikriegshaus zu Gast. Aus seinem gut besuchten Vortrag zum Thema „Antisemitismus in der deutschen Gegenwartsgesellschaft“ an dieser Stelle die Kernpunkte, die uns Konstantin Seidler zur Verfügung gestellt hat.
Antisemitismus ist ein aktuelles Phänomen. Die aktuellen Debatten um diese gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit kennzeichnen in der Regel leider ein weit verbreitetes Unwissen über Entstehungen und Bedingungen des Antisemitismus und wie er in unserer Gesellschaft auf Juden im Alltag trifft. Die geflüsterte Ausgrenzung, also die Bereitschaft weiter Teile der Gesellschaft, Juden als etwas Fremdes, als nicht deutsch wahrzunehmen, ist allgegenwärtig. Die Beschäftigung der deutschen Gesellschaft mit dem Antisemitismus endet allzu oft mit der Geschichte des Nationalsozialismus. Dass die Shoa einen historischen Exzess darstellt, anhand dessen der Antisemitismus eben nicht exemplarisch zu begreifen ist, wird übersehen.
Fast jeder Jude kennt die Frage „und wann fahren Sie wieder nach Hause?“ oder die Aussage „ich als Deutscher muss ihnen hier widersprechen“. Diese
Es sind diese und weitere Aussagen in der Bevölkerung, welche die emotionale Landkarte der deutschen Gesellschaft prägen und das Gefühl, dass der Jude fremd sei, weitertragen. Von Generation zu Generation. Dass Debatten wie die um die Beschneidung, Grass und Augstein einhergehen mit einem Anstieg antisemitischer Straftaten in der Bundesrepublik um bis zu 70% im selben Jahr, ist ein entscheidender Indikator dafür, dass diese Debatten und die Art ihrer Führung antisemitische Reflexe und Handlungen in der Gesellschaft begünstigen. Das heißt, es wurde in einer Art und Weise argumentiert, bei der sich Antisemiten bestärkt fühlen konnten und Ihr Weltbild etliche Anknüpfungspunkte an diesen gesellschaftlichen Debatten finden konnte.Aussagen sind in allen Variationen Alltag für Juden in Deutschland. Das Problem dieser Aussagen ist die Gedankenlosigkeit, mit der sie daherkommen. Eine Gedankenlosigkeit, die eine Kluft zwischen Juden und Nichtjuden entstehen lässt.
Es ist unsere Aufgabe, in den Schulen Wissen über Antisemitismus zu vermitteln. Dieses Know-How befähigt nicht nur das Erkennen sämtlicher anderer gruppenbezogener Menschenfeindlichkeiten, es führt auch zu einem verstärkten Reflexionsvermögen der Gesellschaft gegenüber „geflüsterten Ausgrenzungen“.
Mit einem Vortrag von Prof. Ursula Rudnick wurde am Sonntag, 26. Januar, im Antikriegshaus die Ausstellung "Man hat sich hierzulande daran gewöhnt - Antisemitismus in Deutschland heute" eröffnet. Mit der Formulierung des Ausstellungstitels als Zitat will die Amadeo Antonio Stiftung, die für die Erarbeitung der Wanderausstellung verantwortlich zeichnet, zu Nachdenken anregen über die Frage, inwieweit Antisemitismus in unserer Gesellschaft (wieder oder immer noch) zum Alltag gehört. Dr. Ursula Rudnick, Professorin für Judaistik an der Leibniz Universität Hannover und u.a. Vorsitzende des Zentralvereins für die Begegnung von Christen und Juden in Niedersachsen e.V. wies darauf hin, dass innerhalb der letzten Dekade jährlich zwischen 1200 und 1700 antisemitische Straftaten polizeilich erfasst wurden, bei einer vermutlich weitaus höheren Dunkelziffer: "Antisemitismus zeigt sich im Alltag auf vielfältige, meist nicht justiziable Weise", sagte sie. Frau Dr. Rudnick hob hervor, dass es nicht eines ausgeprägten antisemitischen Weltbildes bedürfe, um antisemitische Stereotype abzusondern. Die unter Jugendlichen oder auf dem Fußballplatz gängige Beschimpfung "Du Jude" entspringt in eher wenigen Fällen einer bewusst antisemitischen Motivation - und (re)produziert doch Antisemitismus. Gleichwohl richtete sich der Fokus des Vortrages auf Begründungsformen, in denen Antisemitismus auftritt, vom Antijudaismus mit Luther als Apologeten über rechtsextremistischen Judenhass bis zum Antizionismus. Dabei wies sie darauf hin, dass Kritik an der Politik des Staates Israel nicht per s eals Antisemitismus abgetan werden kann, sondern differenziert betrachtet und einer Prüfung unterzogen 
Die Judaistin und Theologin Prof. Dr. Ursula Rudnick, Studienleiterin des Vereins Begegnung- Christen und Juden. Niedersachsen e.V. und Beauftragte der Hannoverschen Landeskirche für Kirche und Judentum im Haus kirchlicher Dienste der ev.-luth. Landeskirche Hannovers, wird einen einführenden Überblick zur Herausforderung des gegenwärtigen Antisemitismus geben.
Wann löste sich die Verfestigung der defensiven Behauptung eines Widerstandbegriffes? Warum konnte die Kirche ihr Verhältnis zu den Juden erst sehr spät neu bestimmen? Wie stark bestimmten die Kirchenleitungen fördernd oder bremsend die Erforschung ihrer Landeskirchengeschichte? Und schließlich: Wie konnte es sein, dass Seelsorger der Kirchen das verdrängten, was Christsein eigentlich ausmacht, nämlich menschlich im Sinne Jesu zu handeln?







