Von der Tragik eines Briefmark-Lebens

Bericht über den Ringelnatterrotweinabend im Anzeiger für Lehrte und Sehnde am 12. Mai 2015

Sievershausen. Was ist die Tragik des Lebens? Wenn ein männlicher Briefmark von einer Prinzessin beleckt wird, sich in sie verliebt, dann aber per Post verschickt wird. Es sind diese kurzen, Aphorismen ähnelnden und gern auch absurden Gedichte, die Joachim Ringelnatz berühmt gemacht haben. Und deshalb durfte der Briefmark auch nicht fehlen in der Lesung des Literarischen Quintetts – in diesem Fall auf ein Quartett reduziert – im Antikriegshaus. Genauso wenig wie die berühmten Ameisen, die von Hamburg nach Australien wollten, aber weise auf den letzten Teil der Reise verzichteten, als ihnen schon in Altona die Beine wehtaten. Doch Ringelnatz kann es auch ernsthaft, wie im Gedicht vom Schenken: „Schenke herzlich und frei. Schenke dabei, was in dir wohnt an Meinung, Geschmack und Humor“, fordert er seine Leser auf.

Klaus-Peter Großmann, Meike Holtmann, Christian Krause und Thomas Stolze servierten den rund 40 Zuhörern im Antikriegshaus nicht nur eine interessante Mischung aus „heiteren, ernsten und schmutzigen Gedichten“, wie Großmann frühzeitig warnte, sondern auch Rotwein. Denn Ringelnatz habe bei seinen Auftritten stets ein Glas davon auf dem Tisch stehen gehabt. Eher zum ernsteren Teil passten die melodischen, überwiegend sanften Lieder des Matthias-Witzig-Ensembles, das die Lesung mit Gitarre, Bass und Drums begleitete.

Doch zu seiner besten Form läuft der Dichter zweifellos in seinen humoristischen Werken auf. Dazu zählen unter anderem die Geschichten von Kuttel Daddeldu, von denen Großmann „Rotkäppchen“ vortrug. Darin vermischt der Autor zunächst souverän mehrere grimmsche Märchen: Rotkäppchen wird als Schneewittchen beschrieben, der Wolf gibt sich als Dornröschen aus. Und zum furiosen Finale lässt Ringelnatz die Großmutter sowohl Rotkäppchen als auch den Wolf und obendrein sogar noch den Jäger verspeisen.

Das Publikum fühlte sich gut unterhalten und bedankte sich mit ausgiebigem Beifall.